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Zeitlich bedingt erfolgte die Anfahrt der Exkursionsgruppe des Fördervereines des Naturkundemuseums Dortmund vom Jurameer in Schandelah zur jüngeren Erdgeschichte und Archäologie in Schöningen über Autobahn und Bundesstraße. Durch die Konzentration auf die Straße war für die blühende Landschaft zwischen den „salzgehobenen“ Höhenzügen Durm, Lappwald und Elm kein Blick frei.
Und dann taucht es nach der Ortsdurchfahrt durch
Schöningen auf,
das Paläon. Unübersehbar, die
Konzentration und einen Besuch
herausfordernd.
Bereits im Umfeld des Museums ist ein großes Areal mit Bezug zur Archäologie hergerichtet worden. Leider lenkt der Parkscheinautomat mit der meisterhaften Software davon ein wenig ab.
Die Außenhaut des riesigen Museumsblockes ist mit rostfreiem Blech verkleidet. Die Landschaft spiegelt sich an der Außenhaut. Das ist das, was der Architekt wohl auch beabsichtige. Das ist gelungen und das Konzept geht auf. Kunst ist immer auch eine Herausforderung. Auch wenn es subjektiv gegebenenfalls anders beurteilt wird.
Nach einem entspannenden Besuch im ehrenamtlich von einer Stiftung betreuten Museumsrestaurant holt Herr Hans Ulrich Kökeritz die Exkursionsgruppe zur Besichtigung der Braunkohlegrube und der archäologischen Grabungsstätte, die Schöningen durch einen Zufall weltberühmt gemacht hat, ab.
Mit festem Schuhwerk und vorschriftsmäßiger Warnweste geht die Gruppe vorbei an farbenprächtigen Blumenwiesen, einer Pferdewiese mit Przewalski-Wildpferden -oder waren es vielleicht Haflinger, einer Steppenwiese etc. zur Braunkohlegrube mit der prähistorischen Grabungsstätte.
Die Braunkohle hat ihren Ursprung im tropischen Klima des Eozäns, große Palmwälder wurden im Sattel zwischen Helmstedt und Schöningen durch Sedimente abgeschlossen und sind zwischenzeitlich zu Braunkohle in großer Mächtigkeit inkohlt.
In großem Maße wird Braunkohle seit 1984 industriell im naheliegenden Kraftwerk Buschhaus genutzt. Nach Inbetriebnahme einer Rauchgasentschwefelungsanlage konnte auch die schwefelhaltige Salzkohle aus dem Schöninger Tagebau verfeuert werden. Der Betrieb des 2013 von E.On an die tschechische MIBRAG veräußerten Kraftwerks wurde 2016 eingestellt, ursprünglich war eine Laufzeit bis 2030 vorgesehen. Ab Oktober 2016 steht das Kraftwerk gemäß Beschluss der Bundesregierung für 4 Jahre als Reservekraftwerk bereit. Allerdings: woher die Kohle nehmen. Der Betrieb der Tagebaus Schöningen ist im September 2016 eingestellt worden, die im für den Kraftwerksbetrieb erforderliche Braunkohle- Reserve war parallel dazu gleichfalls im September 2016 aufgebraucht.
Die Exkursionsgruppe schaut entsprechend auf einen nicht mehr in Betrieb befindlichen Braunkohle- Tagebau. Eine mächtige Grube ist zu sehen. In der Sohle steht schon ein wenig Wasser, die Pumpen zur Entwässerung wurden bereits abgestellt. Die Grube hat natürlich nicht nur Braunkohleflöze enthalten. Die Kohleflöze waren unter Deckschichten mit jüngeren Sedimenten gelagert, die Flöze selbst sind durch Sedimentschichten getrennt. Die Horizonte auf der anderen Seite der Grube lassen dies erkennen. Zur Förderung von 1000 t Kohle war ein Abraum von 80000 m³ erforderlich. Die Tagesförderung betrug ca. 8000 t Kohle.
Das Braunkohlefeld wurde seinerzeit durch die innerdeutsche Grenze getrennt. Auf beiden Seiten wurde abgebaut.
Mit Ausnahme einer Reihe von Transportfahrzeugen und einiger Baubuden ist der Maschinenpark inklusive der riesigen Braunkohlebagger bereits entfernt. Die zukünftige Nutzung der Grube für Freizeit, Kultur und Natur ist noch nicht abschließend abgestimmt.
Die Exkursionsgruppe steht aber nicht nur am Rande einer Braunkohlegrube, sondern auch im Uferbereich eines heute verlandeten prähistorischen Sees von 1-2 km Länge und 200 -400 m Breite, der sich im Zuge der Gletscher -Schmelze der Elster-Eiszeit (vor ca. 400000 bis 320000 Jahren) gebildet hat. Mächtige Zuflüsse speisten den See mit Sedimenten unterschiedlicher Färbungen, jede der nachfolgenden Warmzeiten und Eiszeiten hinterließ ihre Spuren.
Das alles wäre heute nach außen kaum bekannt, wenn nicht die „Macht des Schicksals“ ein positives Zeichen gesetzt hätte.
Prähistorisch war das Braunschweiger Land rund um den Elm schon immer interessant. Im Zuge des Baues des Kraftwerks Buschhaus wurden beispielsweise in einer im 6. Jahrtausend v.Ch. errichteten Siedlung u.a. viele Werkzeuge, Tonscherben usw. gefunden. Besonders der Geologe Hartmut Thieme zeichnete sich hier durch Grabungen aus. Thieme war immer auch im Braunkohlerevier Schöningen als archäologischer Grabungsleiter tätig, soweit nicht der Braunkohlebagger vor seinen Augen die Schichten abgeräumt hat.
Am Donnerstag, 20. Oktober 1994 streikte
der Bagger und konnte über das Wochenende nicht
repariert werden und nicht mehr räumen. Es war
Thiemes großes Verdienst, dass er ein Stück
Holz sofort als etwas Besonderes einordnete. Man
entnahm einen Block, wertete in aus und fand
unter anderem einen Speer. Ein prähistorisches
Fenster hatte sich geöffnet, denn Auswertungen
des Bodens wiesen das Alter der Speere mit ca. 300000
Jahren aus. Das war die Zeit zwischen der
Elster-Eiszeit und der Saale-Eiszeit.
Die Betreiber des Braunkohle-Tagebaus und die
Archäologen konnten sich dahingehend
verständigen, dass in diesem Uferbereich des
damaligen Sees keine Braunkohle mehr abgebaut wird und
hier archäologische Untersuchungen stattfinden
konnten und weiterhin können. Schöningen
wurde und ist eine der 10 wichtigsten
Forschungsstellen für die Prähistorik auf
der Erde.
Vieles wurde zwischenzeitlich gefunden. Knochen unterschiedlicher Tiere bis hin zum Elefanten, Pferdeköpfe, der Zahn einer Säbelzahnkatze, der Stoßzahn eines Elefanten, Eierschalen von Wasservögeln, Pflanzensporen usw. Daneben die 9 Speere, eine Stoßlanze, 2 Wurfhölzer, die Bearbeitungswerkzeuge und die Bearbeitungsspuren an Knochen, die ein Bild von den damals hier lebenden Menschen liefern und die diesbezügliche Wissenschaft ein wenig auf den Kopf gestellt haben.
Menschliche Knochen wurden - zumindest bisher - hier nicht gefunden. Aber auch keine Siedlungsspuren. Der See war wahrscheinlich nur Jagdrevier zur Jagd auf Przewalski-Wildpferde, ggf. auch auf Elefanten. Die Menschen haben sich nachts in weiter entfernt liegende Regionen zurückgezogen. Der Fund des Zahns einer Säbelzahnkatze lässt dies erahnen, die hatte im sumpfigen Gelände nachts ihre Vorteile.
Herr Kökeritz steigt mit der
Exkursionsgruppe vom Rand der Grube zur
Grabungsstätte ab. Beginnend mit der Stelle, an
der Hartmut Thieme den ersten Speer gefunden hat.
Neben dem Schädel eines
Przewalski-Wildpferdes und dem Stück eines
Pferdewirbels. Ein sogenannter Zeugenblock wurde
stehen gelassen, der die Originalschicht der bereits
untersuchten und abgetragenen Schichten dieser
Grabungsabfolge belegt.
Im Anschluss an die Begehung dieser Urzelle der
Grabung beginnt für die Exkursionsgruppe
die Besichtigung des aktiven Grabungsbereiches.
Exakt abgestochene Horizonte und
wissenschaftliche Vermessungspunkte und
Beschilderungen markieren den Grabungsbereich.
Was abgetragen wurde, ist grundsätzlich weg;
abgetragen heißt aber nicht, dass das Material
zwingend verloren ist. Es wird gesiebt,
geschlämmt und gut dokumentiert in Säcken
gelagert. Dadurch ist nachträgliche Analyse,
z.B. von Mikroben, weiterhin möglich.
Gegraben wird in fünf Erdschichten, die durch die wechselnden Verlandungszonen der Eiszeiten eingeteilt sind. Die unterste Schicht kennzeichnet die Grundmoräne der Elster-Eiszeit, sie bildet den Boden des Sees über den die Braunkohle führenden Schichten des Eozäns. Darüber folgt die Schicht der Grundmoräne der Saale- Eiszeit, in deren Schicht im Uferbereich die Schicht eingelagert ist, die die Zeit der ca. 20000 Jahre zwischen der Elster-Eiszeit und der Saale-Eiszeit dokumentiert. Das ist die Schicht, in der die Speere gefunden wurden. Die Schicht darüber repräsentiert die Schicht der Warmzeit zwischen der Saale-Eiszeit und der Weichsel-Eiszeit bzw. wesentlich der Weichsel-Eiszeit. Darüber liegt die Schicht unserer heutigen Warmzeit.
Die oberste und die zweite Schicht haben eine
Mächtigkeit von ca. 10- 15 m. Farblich sind die
Schichten sind durch die Farbe der Sedimente
gekennzeichnet. Die See-Sedimente haben hellere
Schichten gebildet. Die dunkleren Schichten sind durch
die Sedimente gebildet worden, die vom Uferbereich
durch die gewaltigen Urströme eingeschwemmt
wurden. Kamen so auch die Speere ins Wasser oder wurde
nur im Uferbereich gejagt? Die Frage ist nicht
abschließend geklärt, es gibt keinen
Augenzeugen mehr.
Archäologische Funde gibt es
–zumindest bisher- nur aus der Warmzeit vor
300000 Jahren. Die damaligen schnellen
Sedimentierungen und die Bedingungen des Sees ohne
Sauerstoff bildeten die Grundlage für die
Erhaltung der Artefakte.
An einer Grabungsstelle demonstriert Herr
Kökeritz die Mühe der grabenden
Archäologen. Hier ist beispielhaft der Kopf eines
jungen Wildschweines und das Schulterblatt eines
Pferdes ausgelegt worden. Erschlossen wird im
m³-Block, dokumentiert durch Zeichnungen nach
Vermesser-Art und durch digitale Aufnahmen.
Zunächst wird grob mit dem Spaten vorgegangen,
später immer mehr verfeinert durch diverse
Spachtel und Pinsel bis hin zur Pinzette. Der Abraum
wird eimerweise gesiebt und ggf. geschlemmt. Alles mit
exakter Dokumentation. Eine akribische Arbeit, die man
nicht so nebenbei erledigt und die auch Freude und
Begeisterung für die Tätigkeit dokumentiert.
Mehrere Forscherteams sind im Einsatz, die sich je
nach wissenschaftlicher Ausrichtung mit speziellen
Auswertungen beschäftigen.
Die Exkursionsgruppe bewegt sich langsam wieder aufwärts steigend weiter. An einer Stelle weist Herr Kökeritz auf die hinter einem Grabungszelt verborgene Fundstelle des am13.08.2015 geborgenen Stoßzahnes eines Waldelefanten hin. Ein sensationeller Fund.
Noch sensationeller an einer Grabungsstelle, an der man es eigentlich nicht mehr vermutet, die Fundstelle des Zahns einer Säbelzahnkatze bzw. Säbelzahntigers. Die Archäologen hatten diesen Tiger eigentlich als ausgestorben betrachtet.
An dieser Stelle ist auch die Zeit für die
Exkursionsgruppe gut vorangeschritten. Zu gut,
die Exkursionsgruppe muss sich zügig auf den
Rückweg begeben. Der nächste Termin mit Dr.
Ulrich Hoger steht auf dem Programm.
Aber zunächst ist Herr Kükeritz wichtiger. Die Exkursionsgruppe bedankt sich mit herzlichem Beifall für die gelungene Führung durch das Braunkohlerevier Schöningen.
Weblinks
Ein
Film über den Fund des
Elefanten-Stoßzahnes
Ein
Film über die Grabungsstätte und das
Museum
Ein Film: Przewalski-Pferde: Die letzten echten Wildpferde
Letzte Änderung: 28.05.2020